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12.Jul.2022 |
Interview: Der MorphOS-Entwickler Jacek Piszczek Viele unserer Leser kennen Jacek Piszczek durch seinen Browser Wayfarer, erstmals veröffentlicht Anfang Oktober 2020 und sein E-Mail-Programm Iris, dessen erste Betaversion er Ende März 2018 für MorphOS veröffentlichte. Aber der Entwickler ist schon viel länger für MorphOS aktiv: erstmals Erwähnung in unserer Datenbank findet er in einer Meldung über VirusExecutor 2.24 vom Juli 2002, in der er als Autor von ReqAttack erwähnt wird. Mit seiner transparenten Digital-Uhr TranspoClock vom Dezember 2003 wird er von uns mit einer eigenständigen Meldung erstmals geführt. Höchste Zeit, etwas mehr über diesen umtriebigen Entwickler zu erfahren und über vergangene und aktuelle Projekte zu reden: Amiga-News (AN): Lieber Jacek, herzlichen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Verrate uns drei Eckdaten, die der Leser über dich wissen muss. Jacek Piszczek (JP): Hallo. Ich heiße Jacek Piszczek, bin 39 Jahre alt und Amiganutzer seit 1996. AN: Da du für das Betriebssystem MorphOS entwickelst: welche Hardware nutzt du dafür? Und: benutzt du MorphOS als dein Hauptsystem? JP: Meine drei Hauptsysteme sind: ein 2.3GHz PCIE G5, ein 17'' 1.67Ghz PowerBook mit FullHD-Bildschirm und ein Mac mini. Ich habe noch mehr Ersatzgeräte, aber diese drei sind die, mit denen ich alle Tests und einen Großteil der Entwicklungsarbeit mache. Ich liebe vor allem das PowerBook. Was das Hauptsystem angeht: Wie definiert man das heutzutage überhaupt noch? Abends benutze ich MorphOS (wenn ich nicht gerade Spiele spiele), Windows für die Arbeit und macOS auf meinem PC. Da WebKit ziemlich anspruchsvoll ist, benutze ich XCode und einen Debian VM Cross-Compiler, um Wayfarer zu bauen, aber ich versuche, alle anderen MorphOS-Arbeiten entweder auf dem G5 oder einem PowerBook zu erledigen. Glücklicherweise verlinkt Iris nur gegen vorkompilierte WebKit-Binärdateien, sodass ich unter MorphOS daran arbeiten kann. AN: Unsere Leser kennen dich als Entwickler der MorphOS-Anwendungen Iris und Wayfarer. Aber kannst du uns sagen, wie du zu den Retro-Systemen im Allgemeinen gekommen bist? Auch als "einfacher Benutzer"? Warst du von Anfang an auf MorphOS fokussiert? JP: Sie waren noch nicht retro, als ich anfing, mit dem Amiga zu spielen. Ich hatte einen A500, dann einen A1200/PPC, was mir die Möglichkeit gab, die Programmiersprachen E und C zu lernen. Der Übergang zu MorphOS geschah einfach, weil das die einzige verfügbare Lösung zu der Zeit war. AN: Hast du auch für andere Betriebssysteme Software geschrieben oder nur für MorphOS? JP: Ich habe mit der Programmierung auf dem Amiga 500 und einem C64 begonnen, also nein, nicht nur MorphOS. Ich habe in den letzten 20+ Jahren hauptsächlich als Programmierer gearbeitet und hatte daher die Gelegenheit, Code für eine Menge Plattformen neben dem Amiga zu schreiben. AN: Kannst du dich an dein erstes (kleines?) Projekt erinnern? Oder hast du gleich mit Iris oder Wayfarer begonnen? JP: Haha, ich wünschte, ich wäre so begabt, dass ich Iris als mein erstes Programmierprojekt entwickeln könnte. Aber im Ernst: Ich glaube, meine erste wirklich brauchbare Anwendung war ein Jingle-Player, den ich in AMOS für eine Highschool-Veranstaltung geschrieben habe. Ich habe sogar eine benutzerdefinierte, selbstlayoutende Benutzeroberfläche dafür geschrieben. Leider ist mir später die Diskette mit dem gesamten Quellcode abhanden gekommen... AN: Mit deinem Browser Wayfarer und deinem E-Mail-Programm Iris hast du MorphOS zwei Programme beschert, die unter den Amiga-Systemen Alleinstellungsmerkmal haben und sich vor vergleichbaren Programmen unter Windows und Co nicht verstecken brauchen. Woran hängt dein Herz mehr und warum? JP: Mein Herz hängt an Iris, da es viel mehr von meinem eigenen Code enthält. Es war auch die Anwendung, die mich gezwungen hat, nach etwas zu suchen, das eine Brücke zwischen modernen Programmiertechniken und MUI schlägt. Nach einigen Wochen der Recherche habe ich angefangen, mit Objective-C unter MorphOS zu experimentieren und habe schließlich die beiden objc-Frameworks geschrieben, die die meisten meiner MorphOS-Anwendungen heutzutage verwenden. Ich fürchte, ohne diesen Schritt wären weder Iris noch Wayfarer möglich gewesen, zumindest nicht ohne größere Kompromisse. AN: Es ist ziemlich unglaublich, dass eine einzige Person diese beiden großen Projekte bewältigen kann. Wieviel Zeit verbringst du dafür in einer Woche? Und: macht es Spaß? Oder ist es auch Pflicht? Gab es einen Zeitpunkt, an dem du dachtest: Das wird mir zu viel, ich höre auf? JP: Ich würde sagen, dass ich realistisch gesehen etwa 15-20 Stunden pro Woche in MorphOS stecke, und das ist im Grunde alles Programmierung. Aber das ist nur in den Wochen, in denen ich wirklich Lust dazu habe :) Was Spaß und Verpflichtung angeht, ist es wohl ein bisschen von beidem. Ich mag Herausforderungen, aber manche Debugging-Sitzungen können sich auch als zu viel anfühlen. Die schlimmsten Bugs, die ich in Wayfarer zu lösen hatte, haben Wochen gedauert, um sie zu meistern. Wochen, in denen ich mich jeden Tag 2-3 Stunden damit beschäftigt habe. Danach möchte man einfach nur eine Pause machen, vor allem, wenn ich im Grunde genommen auch in meinem Hauptberuf Debugging-Arbeiten erledige... AN: Ist die Kombination "Jacek - MorphOS" ein 'spezieller Fall' oder ist es denkbar, dass auch eine einzelne Person einen Browser für AmigaOS 4 schreibt? JP: Es ist sicherlich möglich, es als Ein-Mann-Projekt zu machen, da es mit anderen Browsern, die wir in der Vergangenheit hatten (Sputnik, Odyssey), bewiesen wurde. Man braucht jemanden, der weiß, was er tut, der das Betriebssystem kennt, mit dem er zu tun hat (und der in der Lage ist, Fehler im Betriebssystem zu diagnostizieren und zu beheben, während er dabei ist). Fairerweise muss ich sagen, dass mir Piru sehr geholfen hat, vor allem in der Anfangsphase. Er hat bei vielen Compiler- und Betriebssystemproblemen geholfen, z. B. bei der Behebung von Phreads. Trotzdem braucht man Leute, die hunderte von Stunden harter Arbeit in die Entwicklung stecken, ohne die Erwartung, dafür bezahlt zu werden (oder die Preise zu bekommen, die Programmierer auf dem erforderlichen Niveau erwarten würden). AN: Bist du auch - zumindest ein wenig - mit AmigaOS 3 und 4 vertraut? Falls ja, kannst du erläutern, ob das Schreiben eines Mailprogramms und eines Browsers für MorphOS einfacher ist als für die anderen beiden? Und warum? Oder warum nicht? JP: MorphOS macht es einfacher, weil wir so viel Arbeit in die System-Updates gesteckt haben. Manchmal kann das Hinzufügen einer scheinbar kleinen Debugging-Funktion zum Betriebssystem einen großen Einfluss auf ein Browser-Projekt haben. Oder Unicode-Unterstützung. Oder ein Benachrichtigungssystem. All diese Dinge kommen zusammen und haben eine große Wirkung, wenn man ein so großes Projekt wie die Portierung von WebKit stemmt. Ja, man könnte fast alles in den Browser packen, aber das würde viel mehr Arbeit machen und hätte keinen positiven Einfluss auf das gesamte Betriebssystem. In dieser Hinsicht sind sowohl AmigaOS 3 als auch 4 schon vor langer Zeit stagniert - zum Beispiel implementiert AmigaOS 3.2 im Grunde nur Dinge neu, die von Haage & Partner 20 Jahre zuvor gemacht wurden. AN: Diesbezüglich: Ich habe in mehreren Foren gelesen, dass du offen für eine Portierung von Wayfarer auf OS4.1 gewesen wärst, aber niemand von A-Eon etc. auf dich zugekommen ist. Das war im März 2021. Hat sich etwas geändert? JP: Meine gesamte WebKit-Arbeit ist für jeden auf github verfügbar. Ich habe nicht die Zeit, ein weiteres Projekt dieser Größenordnung zu portieren und zu pflegen, also ist das Beste, was ich tun kann, jedem, der seine eigene Portierung auf der Grundlage meiner Arbeit machen will, Hinweise zu geben. AN: Lass uns ein wenig philosophieren: Angenommen, die Community, A-EON oder wer auch immer würde dir für einen Port spenden...Was wäre das Ergebnis? Nur der Port oder würdest du ihn auch pflegen? Und würde es auf MUI oder Reaction basieren? JP: Wenn man eine Portierung vornimmt und sie dann nicht pflegt, würde der Browser ziemlich schnell stagnieren. Viele große Websites erwarten, dass der Browser, mit dem du sie besuchst, auf dem neuesten Stand ist und das bietet, was Safari aktuell bietet, so dass sich die Dinge innerhalb eines Jahres oder so zu verschlechtern beginnen würden. Das ist der Grund, warum ich meine Patches alle paar Monate auf neuere WebKit-Versionen aktualisiere (das führt dazu, dass die Versionsnummer von Wayfarer erhöht wird). Alle wirklich großen Amiga-Projekte verwenden MUI, weil es einfach die beste Benutzeroberfläche ist, die wir aus der Sicht eines Programmierers haben. Ich bin mir sicher, dass eine ReAction-Version machbar ist, aber wenn es bedeutet, viele zusätzliche Arbeitsstunden investieren zu müssen, warum sollte man sich die Mühe machen? AN: Mailprogramm und Browser sind immer ein großes Thema in der Amiga-Community. Leider mussten wir kürzlich als Ergebnis unserer Recherchen vermelden, dass die Entwicklung des bekannten Mailprogramms YAM eingestellt wurde. Hast du das mitbekommen? Würdest du sagen, dass es einfacher ist, dieses Projekt weiterzuführen (Open Source), z.B. durch Hinzufügen von IMAP-Unterstützung? Oder denkst du, dass es sinnvoller ist, ein Mailprogramm von Grund auf neu zu schreiben? Wobei wir immer noch berichtigte Hoffnung haben, ein Update von SimpleMail zu erleben.... JP: Um ehrlich zu sein, ist YAM im Jahr 2000 gestorben, als der ursprüngliche Autor die Entwicklung eingestellt hat. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, zu versuchen, IMAP hinzuzufügen, weil die beiden Protokolle eine unterschiedliche Philosophie haben. Bei YAM ging es immer darum, die Mails in die Ordner auf der Festplatte zu bekommen, denn darum geht es bei POP3 eigentlich - man soll die Mails nicht auf dem Server speichern. Bei IMAP geht es darum, dass man von mehreren Clients gleichzeitig auf seine Mails zugreifen kann. Es ist etwas schwierig, diese beiden Aspekte in einer Anwendung unter einen Hut zu bringen, die für POP3 entwickelt wurde. AN: Kannst du unseren Lesern beschreiben, wie du mit deinem Mailprogramm begonnen hast? Gibt es irgendwelche fertigen Programmkomponenten, die quelloffen sind und die du für Iris verwenden konntest? Und wieviel Zeit hast du bisher in das Programm investiert? Kannst du das sagen? Es scheint ja so, dass Wayfarer das Hauptprojekt ist, aber gibt es auch Pläne für Iris? JP: Iris begann mit der Portierung von libvmime durch Nicholai Benalal. Dies ist eine Open-Source-Bibliothek mit Doppellizenz, die zentrale Mail-Funktionen bietet. Da es sich um C++ handelt, geriet die Arbeit schnell ins Stocken, da es keine gute Möglichkeit gab, sie zu verwenden, ohne sie irgendwie mit MUI zu verbinden. An dieser Stelle kam Objective-C ins Spiel, aber es dauerte über ein Jahr, bis ich tatsächlich mit der Arbeit an der Mail-Anwendung beginnen konnte. Danach hat es etwa drei Jahre gedauert, bis ich sie in einen Zustand gebracht hatte, in dem ich mit ihr zufrieden war. Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Stunden ich mit dieser Anwendung verbracht habe. Ich habe einen Fahrplan für Iris und werde mich bald wieder damit beschäftigen... AN: Kommen wir zurück zur Hardware: kürzlich finanzierte die Community ein von Mark 'Bigfoot' Olsen initiiertes Projekt zur Verbesserung von TinyGL (wir berichteten). Was hälst du davon? Bedeutet das einen immensen Aufschwung für MorphOS? Und warum? Was wird möglich sein? JP: Mit einer besseren Grafikkartenunterstützung kann man sicherlich einige aufregende Dinge tun, besonders mit Shadern. Ich hoffe, dass ich diese in Enhanced Display nutzen kann. Es wird auch interessant sein zu sehen, wie die Videowiedergabe in Wayfarer mit neueren Karten verbessert werden kann. AN: Was denkst du als Entwickler: ist die aktuelle Hardware-Situation für MorphOS zufriedenstellend? Auf der einen Seite haben wir alte Apple-Hardware, auf der anderen sehr teure neue Hardware (Sam, X5000). Wenn du wählen könntest: was wäre deine Lieblingshardware für MorphOS? x86 Hardware? Ist das in naher Zukunft möglich? JP: Ich glaube, ich bin voreingenommen, weil ich das PowerBook zu sehr mag, aber ja, die Hardware ist heutzutage schwer zu kaufen. Die Sams sind viel zu langsam und ein X5000 ist sowohl teuer als auch nicht so leistungsfähig wie die G5-Macs. Wir werden sehen, was mit einem AMD64-Wechsel passiert, denke ich. AN: Zur Softwaresituation von MorphOS: was ich derzeit vermisse, ist eine ordentliche Textverarbeitung. Wäre es denn möglich, dass ein so hervorragender Entwickler wie du LibreOffice oder, etwas kleiner, AbiWord nach MorphOS portiert? Wenn man allerdings zu AmigaOS 4 schaut, scheint das ein Jahrhundertprojekt zu sein: 2012 wurde es erstmals angekündigt, 2017 begann der Betatest und scheint bis heute anzudauern... JP: LibreOffice ist sowohl riesig als auch sehr, sehr unordentlich. Ich bin kein Fan von cmake, aber ich wünschte, sie würden das benutzen, anstatt all das selbstgebaute Zeug, das sie geschrieben haben. Es soll eine Möglichkeit geben, es in einer SDL-Ansicht zu verwenden, aber es sieht nicht so aus, als ob die Plattformen das tatsächlich nutzen würden. AbiWord sieht etwas weniger chaotisch aus, aber es ist ja auch nur ein Editor. Ich möchte mir das eine oder andere irgendwann ansehen, aber die Menge an anderen Projekten in meiner Pipeline ist schon zu viel. AN: Jacek, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hat und natürlich weiterhin gutes Gelingen für deine Projekte! Wer den Entwickler gerne unterstützen möchte, findet dazu sowohl auf der eingangs verlinkten Wayfarer- als auch Iris-Projektseite eine Donate-Link. (dr) [Meldung: 12. Jul. 2022, 06:19] [Kommentare: 7 - 15. Jul. 2022, 03:32] [Per E-Mail versenden] [Druck-Version] [ASCII-Version] | ||||
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